Christian Klinger: Ochs und Esel

26.11.2010

Es begab sich vor gar nicht langer Zeit in einem nicht weit entfernten Land, das dem unseren gar nicht unähnlich war, dass ein Mann und eine Frau sich auf eine lange Reise begeben hatten. Er war ein rechtschaffener Mann, der nur das Beste für seine Familie wollte, denn bald sollte das gemeinsame Kind geboren werden.

Die hochschwangere Frau war von den Strapazen bereits sehr müde geworden, als der Mann endlich einsehen musste, dass sie eine Pause einlegen sollten. „Gut“, sagte er zu seiner Frau, die Maria hieß, „lass uns ein Quartier für die Nacht suchen.“

„Josef!“, sprach die Frau ihren Mann an. „Bitte beeil dich, ich weiß nicht, wie lange ich noch durchhalte.“

Tatsächlich verspürte die Frau, dass sie nicht mehr lange die Leibesfrucht unter ihrem Herzen tragen würde. Und sie sollte sich nicht täuschen, denn bald darauf setzten die ersten Wehen ein.
„Josef!“, flehte sie, „bitte, wir brauchen ein Zimmer.“

Der brave Mann legte seinen Arm um sie. „Ein wenig musst du noch durchhalten“, versuchte er seine Frau zu trösten, „du wirst sehen, bald werden wir Einlass finden.“

Doch überall, egal ob Gasthaus, Pension oder Holiday-Inn, wurde Ihnen die Tür vor der Nase zugeschlagen. Die Wirtsleute misstrauten den Fremden.

Irgendwann jedoch ließ sich die Natur nicht mehr aufhalten und der Geburtsvorgang setzte ein. Es war dunkel geworden und die Frau fror. Ihr Mann schaffte es gerade noch sie unterzuhaken und in eine abgelegene verlassene Hütte zu schleppen. Zum Glück fand sich darin eine Menge Stroh, auf das er seine Frau betten konnte.

Die Frau hechelte und schwitzte. Einzelne schwarze Haarstränen klebten an ihrem nassen Gesicht fest. Sie beutelte den Kopf und stieß animalische Laute aus.

Irgendwann verebbte das Keuchen der Frau. Es wurde vom Schreien des Neugeborenen abgelöst. Glücklich legte die frischgebackene Mami das klebrige Menschenbündel auf ihre Brust,  wo es zu saugen begann.

Der Mann hatte in der Zwischenzeit ein Lager gerichtet.
Plötzlich klopfte es an der Tür. Drei wohlgewandete Herren in grauen Businessanzügen traten ein.

„Wer sind Sie?“, fragte Josef misstrauisch. „Wir sind Versicherungsvertreter. Wir wollen dem Erlöser Schutz bieten. Hier sind unsere Geschenke: Bausparvertrag, Unfallrente und Pensionsvorsorge!“
Maria lächelte, wie jede Frau lächeln würde, die in so einem Moment Geschenke erwarten durfte.

„Warte“, sagte nun Josef, „ich will zuvor das Kleingedruckte lesen!“ Disponent Balthasar überreichte ihm die Polizze.

Auf einmal flog die Tür auf und zwei Polizisten stürmten in den Raum. Einer davon brüllte:“Hab´ i eich endlich, ihr G´sindel!“

„Was soll denn das?“ fragte nun Melchior erbost. Was haben denn die Leute angestellt?“

„Illegale san´s. Ohne Papiere eingereist! Aber i wissat net, was Ihna des angeht. Schaun S‘, dass weiter kommen!“ antwortete der Polizist triumphierend, während er die Papiere des eingeschüchterten Josef und seiner Frau studierte. Er reichte sie an seinen Kollegen weiter, der feststellte: „Hab ich mir gleich gedacht. Ausländer ohne Einreisebewilligung.“  Die Augen auf das Jesuskind gerichtet: „Und an Bankert ham´s auch mit´bracht.“

Die Versicherungsmakler zogen ab und der eine Polizist forderte einen Gefangenentransporter an.

Gott hatte mittlerweile eine ungute Vorahnung. Er wurde das Gefühl nicht los, dass er sich in der Zeit vertan hatte. Also beschloss er, nach dem Rechten zu sehen.

Sofort zürnte er den Menschen, nachdem er diese Szenerie hatte mitansehen müssen. Er überlegte, eine neue Sintflut zu schicken. Aber er hatte auch schon ein wenig Erfahrung im Umgang mit der Dummheit der Menschen, die er nun eigentlich vorgehabt hatte zu erlösen. Also schickte er seinen besten Engel zur Erde hinab.

Als die Polizisten die heilige Familie abführen wollten, stellte sich Ihnen Gabriel in den Weg. „Halt, ihr macht einen Fehler“, rief er den Beamten zu. Doch die ließen sich nicht beeindrucken.

„Du machst an Fehler!“ antwortete der eine Polizist und zog seinen Knüppel.

Da konnte Gabriel nicht anders. Er schickte einen Blitz. Auf einmal waren die Polizisten verschwunden und an deren Platz standen nun ein Ochs und ein Esel.

Gott war mit dem Werk seines Engels sehr zufrieden. Zur Sicherheit drehte er die Uhr um gut zweitausend Jahre zurück und wechselte den Ort des Geschehens.

So rettete er die Menschheit und den Menschen das Weihnachtsfest.
Und seit dieser Zeit begleiten Ochs und Esel die Darstellung der heiligen Familie.


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